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Die Migrations-Falle: Warum das nächste ERP-Update Ihre Fesseln nicht löst und wie Sie Ihre digitale Souveränität zurückgewinnen

Ein offenes Wort an den Mittelstand: Warum sich Millionen-Investitionen in die IT oft wie ein Rückschritt anfühlen und warum der Fehler im System liegt, nicht bei Ihnen.

Das Paradoxon: Warum fühlen Sie sich trotz Millionen-Investitionen ohnmächtig?

Hand aufs Herz: Kennen Sie dieses beklemmende Gefühl? Sie sitzen im Meetingraum, vor Ihnen liegt ein Investitionsantrag über Millionenbeträge. Es geht um die Migration auf SAP S/4HANA, das Upgrade von Business Central oder die Ablösung eines in die Jahre gekommenen NAV-Systems.

Die Argumente Ihrer IT-Leiter und Berater sind logisch, fast zwingend: „Der Support läuft aus“, „Wir müssen in die Cloud“, „Wir müssen standardisieren“. Und Sie unterschreiben. In der stillen Hoffnung, dass sich mit diesem gewaltigen Kraftakt endlich das einstellt, was man Ihnen seit Jahren verspricht: Agilität. Geschwindigkeit. Unabhängigkeit.

Doch die Realität nach dem Go-Live fühlt sich oft anders an.

Statt befreit durchzustarten, finden Sie sich in einem noch engeren Korsett wieder. Anpassungen, die früher Tage dauerten, verschlingen jetzt Monate und Berater-Budgets. Das Wissen über Ihre Prozesse liegt nicht mehr in Ihrem Haus, sondern bei externen Dienstleistern, die Ihnen „Standardisierung“ verkaufen, wo Sie eigentlich Flexibilität brauchen. Sie haben modernste Software gekauft, aber Ihre unternehmerische Freiheit fühlt sich eingeschränkter an als zuvor.

Wir bei LOX Solutions möchten Ihnen an dieser Stelle eines ganz deutlich sagen: Es liegt nicht an Ihnen. Es liegt auch nicht an der Unfähigkeit Ihres Teams.

Sie sind Opfer eines Systemfehlers der Software-Branche. Das Versprechen „One-Size-Fits-All“, der Glaube, man könne unternehmerische Exzellenz einfach „von der Stange“ kaufen, ist in der heutigen Ökonomie kein Sicherheitsnetz mehr. Es ist ein Käfig.

Die Identitäts-Krise: Wenn Standardsoftware den Wettbewerbsvorteil frisst

Warum scheitern so viele dieser Transformationen oder enden in der Kostenfalle? Unsere Analyse zeigt einen entscheidenden strategischen Denkfehler, den wir den „Commodity vs. Core“-Irrtum nennen.

Viele Unternehmen versuchen, ihre einzigartige Kernkompetenz einzukaufen.

Doch Standardsoftware ist per Definition demokratisiertes Wissen. Das, was SAP oder Microsoft im Standard abbilden, kann Ihr Konkurrent genauso nutzen. Wenn Sie Ihre hochspezialisierten, historisch gewachsenen Prozesse, also genau das, was Sie zum Champion gemacht hat, in eine Standard-Schablone pressen, digitalisieren Sie nicht Ihren Vorsprung. Sie nivellieren ihn.

Ein warnendes Beispiel ist das Projekt „eLWIS“ bei Lidl. Ein halbe Milliarde Euro Lehrgeld musste der Konzern zahlen, um zu verstehen: Wenn man versucht, einen hocheffizienten Discounter-Prozess in eine Standard-Retail-Software zu zwingen, verliert man genau das, was einen schnell macht. Lidl zog die Notbremse und kehrte zum Eigenbau zurück.

Die strategische Erkenntnis für Sie:

  • Commodity: Finanzbuchhaltung, Lohnabrechnung, Compliance. Hier müssen Sie nicht kreativ sein, hier müssen Sie sicher sein. Kaufen Sie hier Standard.
  • Core: Ihre spezielle Fertigung, Ihre Logistik, Ihr einzigartiger Kundenservice. Das ist Ihr Geld-Verdiener. Wenn Sie diesen Bereich standardisieren, geben Sie Ihre Seele auf. Hier müssen Sie bauen.

Das Mindset der Gewinner: Souveränität statt Dogmatismus

Wir haben uns angesehen, was die „Gewinner“ der digitalen Ära anders machen. Dabei geht es nicht darum, dass Sie ein zweites Tesla oder Apple werden sollen. Es geht darum, das Mindset dieser Unternehmen auf den Mittelstand zu übertragen.

Diese Unternehmen haben verstanden, dass digitale Souveränität bedeutet, die Hoheit über die wertschöpfenden Prozesse zu behalten. Sie betrachten IT nicht als Kostenstelle im Keller, sondern als Chefsache.

Dabei haben sich drei Wege herauskristallisiert, die auch für den Mittelstand gangbar sind:

1. Der Mut zum Eigenbau: Wenn die Software das Produkt ist

Wer diesen Weg geht, hat erkannt: „Mein Prozess ist so einzigartig, dass Standardsoftware ihn nicht unterstützt, sondern behindert.“

  • Beispiel Sixt: Warum hat Sixt seine Plattform „ONE“ selbst entwickelt? Weil herkömmliche Software in Silos denkt: Entweder „Vermietung“ oder „Leasing“ oder „Taxi“. Sixt wollte diese Grenzen aber einreißen. Ein Auto sollte morgens ein Mietwagen sein, mittags im Carsharing minutenweise vermietet werden und abends als Taxi fungieren. Keine Standard-Software der Welt konnte diese „fluide Asset-Logik“ abbilden. Hätte Sixt hier gekauft, hätten sie ihr Geschäftsmodell der Software unterordnen müssen. Durch den Eigenbau wurde die IT vom Kostenfaktor zum Möglichmacher einer neuen Umsatzquelle.
  • Beispiel Tesla: Viele scheuen den Eigenbau aus Angst vor den Kosten. Doch Tesla beweist das Gegenteil. Als CIO Jay Vijayan feststellte, dass SAP nicht agil genug für Elon Musks Vision einer nahtlosen Integration von E-Commerce und Fabrik war, entschied er sich für den Eigenbau („Warp“). Das Entscheidende: Er tat dies nicht mit einer Armee von tausend Entwicklern, sondern mit einem Kernteam von nur 25 Leuten in vier Monaten. Die Lektion: Ein kleines, exzellentes Team, das das Geschäft versteht, ist wirkungsvoller als ein riesiges Budget für die Anpassung von SAP.

Für Sie bedeutet das: Haben Sie Mut zur Lücke. Aber Vorsicht: Gießen Sie keine schlechten Prozesse in Code. Es geht nicht darum, den alten Papierprozess mit PDFs nachzubauen. Das bleibt ineffizient. Denken Sie Ihren Prozess radikal neu: Was wäre möglich, wenn Technologie keine Grenzen hätte? Und bauen Sie erst dann die Software, die diesen neuen, optimalen Prozess ermöglicht.

2. Die Postmoderne Symbiose: Der „Clean Core“-Ansatz

Dies ist oft der pragmatischste Weg für den Mittelstand. Man akzeptiert den Standard für die Sicherheit, kapselt ihn aber strikt ab, um agil zu bleiben.

  • Beispiel BMW: Der Konzern stand vor einem Dilemma: Man braucht die Stabilität von SAP für die weltweite Finanzbuchhaltung (hier darf nichts schiefgehen), aber für die Optimierung der Roboter in der Fabrik ist SAP zu starr. Sensordaten erfordern Millisekunden-Entscheidungen. Die Lösung: BMW nutzt SAP als unantastbaren „Clean Core“ für die Bilanz. Aber die Innovation, die Optimierung der Fertigung, wurde auf eine eigene „Open Manufacturing Platform“ in die Cloud ausgelagert.
  • Beispiel Apple: Apple ist das design-getriebenste Unternehmen der Welt. Glauben Sie, dass im Apple Store irgendein Mitarbeiter mit einer grauen SAP-Maske arbeitet? Sicher nicht. Aber im Hintergrund läuft für die gewaltige globale Logistik sehr wohl SAP. Apple hat das Problem der „hässlichen“ und ineffizienten Enterprise-Software gelöst, indem sie eine Schicht aus intuitiven iOS-Apps über das SAP-System gelegt haben. Das SAP-System ist der stabile Daten-Motor im Keller, aber die Mitarbeiter erleben nur die moderne, schnelle Oberfläche. Das System dient dem Menschen, nicht umgekehrt.

Für Sie bedeutet das: Hören Sie auf, Ihr ERP-System mit Individualanpassungen so lange zu verbiegen, bis es update-unfähig ist. Nutzen Sie den Standard als stabilen Motor im Hintergrund. Bauen Sie das „Rennauto“, Ihre speziellen Kundenportale, Ihre IoT-Auswertungen, auf einer flexiblen Plattform daneben. So bleiben Sie im Kern sicher und im Wettbewerb agil.

3. Best-of-Breed: Geschwindigkeit durch Spezialisten

Hier lautet die Devise: „Wir nehmen für jedes Problem das absolut beste Werkzeug am Markt und verbinden diese.“

  • Beispiel HelloFresh: Für die Finanzbuchhaltung nutzt der Kochboxen-Versender Standardsoftware von Oracle. Denn eine Rechnung ist eine Rechnung. Doch das Herzstück, die Vorhersage des Bedarfs an verderblichen Zutaten, ist hochgradig volatil. Kein Standard-ERP konnte diese Algorithmen bieten. Also baute HelloFresh die Supply-Chain-Software selbst, kaufte aber die Finanz-Software zu. Sie investieren ihre Entwickler-Ressourcen nur dort, wo sie den Gewinn beeinflussen.
  • Beispiel Spotify: Als globaler Tech-Konzern könnte Spotify das mächtigste SAP-System nutzen. Tun sie aber nicht. Sie setzen auf NetSuite, ein eher schlankes ERP, und kombinieren es mit spezialisierten Tools. Warum? Weil ein schwerfälliges „All-in-One“-ERP die Gründung neuer Ländergesellschaften verlangsamt hätte. Für Spotify war „Time-to-Value“, also wie schnell das System läuft, wichtiger als funktionale Tiefe. Sie wollten Agilität, keine Bürokratie.

Für Sie bedeutet das: Investieren Sie Ihre wertvollen Ressourcen nicht in Probleme, die andere schon gelöst haben. Ein spezialisiertes Lager-System, das exakt zu Ihrer Nische passt, und ein spezialisiertes CRM sind im Verbund oft mächtiger als eine riesige ERP-Suite, die alles ein bisschen, aber nichts richtig kann.

Ihr Weg aus der Abhängigkeit: Vom Getriebenen zum Gestalter

Vielleicht denken Sie jetzt: „Das klingt logisch, aber die Umsetzung wirkt riesig. Wir sind schließlich kein Software-Haus.“

Das ist ein berechtigter Gedanke. Doch die weitaus größere Gefahr heute liegt im blinden Aktionismus. Wir nennen das die „HR-Falle“: Viele Unternehmen erkennen das Problem, stellen panisch teure Entwickler ein, haben aber keine klare architektonische Vision. Das Ergebnis ist oft, dass man das Chaos des alten ERP-Systems einfach nur mit modernem Code nachbaut.

Es braucht daher weniger „Hände, die tippen“, sondern mehr „Köpfe, die strukturieren“. Es braucht die Fähigkeit, technologische Entscheidungen wieder aus der Unternehmer-Brille zu treffen, nicht aus der IT-Beschaffer-Brille.

Fazit: Es ist Zeit für digitale Mündigkeit

Die Geschichten von Tesla, Sixt oder HelloFresh sind keine Erzählungen über unbegrenzte Budgets. Es sind Erzählungen über Mut und Klarheit. Diese Unternehmen haben verstanden, dass im 21. Jahrhundert die Technologie nicht mehr vom Business getrennt werden kann.

Für Sie als Entscheidungsträger im Mittelstand bedeutet das eine gute Nachricht: Sie müssen nicht alles selbst bauen. Aber Sie müssen wieder der Architekt Ihres eigenen Hauses werden, anstatt nur der Mieter in der Software eines anderen.

Trennen Sie das, was jeder hat (Commodity), von dem, was nur Sie können (Core). Verteidigen Sie Ihre Differenzierung. Und lassen Sie sich nicht einreden, dass Standardisierung immer die sicherste Lösung ist. Manchmal ist sie das größte Risiko.

Ihr erster Schritt? Ein ehrliches Gedankenexperiment.

Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihr Unternehmen heute auf der „grünen Wiese“ neu gründen. Mit Ihrem heutigen Wissen, aber ohne technologische Altlasten.

Würden Sie für Ihre Buchhaltung und Lohnabrechnung eine bewährte Standardsoftware kaufen? Vermutlich ja. Denn hier wollen Sie Sicherheit und Effizienz.

Aber würden Sie für Ihren entscheidenden Wettbewerbsvorteil, Ihre spezielle Fertigung, Ihre komplexe Logistik oder Ihren einzigartigen Service, erneut eine Standardlösung kaufen und diese dann über Jahre hinweg teuer anpassen lassen? Oder würden Sie diesen Kernprozess heute exakt so digital abbilden lassen, wie es für Ihr Geschäft am besten ist?

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