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Die Code-Fabrik-Illusion

Digitale Großprojekte scheitern nicht an fehlendem Budget oder mangelndem Fachwissen, sondern an einem fundamentalen Missverständnis digitaler Wertschöpfung. Wer versucht, komplexe Software-Herausforderungen mit der linearen Logik industrieller Fertigung zu lösen, verbrennt Kapital statt Werte zu schaffen.

Die Belege dafür sind teuer: Ein Weltkonzern wie VW versuchte mit Cariad ein konzernweites Auto-Betriebssystem zu bauen und scheiterte an der Umsetzung. Die Schwarz Gruppe investierte rund sieben Jahre und eine halbe Milliarde Euro in eine SAP-Migration, nur um das Projekt schließlich zu stoppen. In beiden Fällen wurde skaliert, bevor das Problem validiert war.

Das Erbe der "Fabrik-Denke"

In Führungsetagen herrscht noch immer das mentale Modell der industriellen Fertigung. Man identifiziert ein Bedürfnis, plant eine Lösung am Reißbrett, budgetiert sie über fünf Jahre und gibt den Auftrag dann an die IT weiter.

Die IT wird dabei oft als reine "Delivery-Einheit" missverstanden: Oben wirft der Vorstand Anforderungen rein ("Wir brauchen ein einheitliches Auto-OS", "Wir führen SAP ein"), unten soll Softwareprodukt herauskommen.

Dieses Modell funktioniert hervorragend beim Bau von Fabrikhallen oder der Optimierung von Lieferketten. In der Softwareentwicklung ist es jedoch toxisch.

Der Kardinalfehler bei Projekten wie Cariad (VW) oder eLWIS (Schwarz Gruppe) war nicht die Technologie selbst. Der Fehler war, dass auf Entscheiderebene bereits eine konkrete Lösung bestellt wurde, bevor das eigentliche Problem und die technologischen Realitäten validiert waren.

Man baut riesige Organisationen auf (5.000 Mitarbeiter bei Cariad), um eine Annahme umzusetzen, die vielleicht von Anfang an falsch war. Es wird skaliert, bevor validiert wurde.

Die Lücke: Lost in Translation

Hier liegt das Kernproblem bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten: Es fehlt eine kritische Instanz. Die "Übersetzungskompetenz" zwischen Business-Vision und Realität.

  • Die Strategie-Berater liefern brillante Marktanalysen und Ziele ("Ihr müsst Datenhoheit gewinnen"), haben aber oft kein Gefühl für die technologische Komplexität der Umsetzung.
  • Die Systemintegratoren leben davon, diese riesigen Projekte umzusetzen. Ihr Geschäftsmodell basiert oft auf Masse. Sie haben wenig wirtschaftlichen Anreiz, einem Vorstand zu sagen: "Ihr braucht dafür keine 500 Entwickler, sondern nur 50."

Wer aber sagt dem CEO, dass die angedachte IT-Lösung unternehmerisch oder technisch keinen Sinn ergibt? Wer sagt dem Vorstand: "Ja, das Ziel ist richtig, aber der Weg, den ihr euch vorstellt, ist eine Sackgasse"?

Genau hier entstehen die Millionen-Euro-Gräber. Es fehlt die Instanz, die Technologie und Business nicht als getrennte Silos betrachtet, sondern synchronisiert.

Der notwendige Paradigmenwechsel: Validierung vor Skalierung

Unternehmen, die diese Falle vermeiden wollen, brauchen keine weitere "Code-Fabrik", die blind Tickets abarbeitet. Sie brauchen einen strategischen Ankerpunkt, der vor der eigentlichen Entwicklung ansetzt. Egal ob dies durch eine interne Stabsstelle oder einen spezialisierten externen Partner geschieht. Die Vorgehensweise muss sich radikal ändern.

1. Challenge the "Why" (Strategische Klarheit)

Welches unternehmerische Ziel verfolgen wir wirklich? Geht es VW um ein zentrales OS, oder eigentlich um User Experience und Datenhoheit? Geht es Lidl um SAP, oder um effiziente Prozesse? Oft stellt sich heraus: Was der Vorstand als "Lösung" im Kopf hat, ist gar nicht der technologisch effizienteste Weg zum Ziel. Das blinde Ausführen von Anforderungen muss durch das Hinterfragen der Absicht ersetzt werden.

2. Radical Validation (Technische Ehrlichkeit)

Bevor Hunderte Entwickler eingestellt oder Organisationen umgebaut werden, müssen Hypothesen in kurzen Zyklen getestet werden. Statt riesiger Programme braucht es kleine, interdisziplinäre Einheiten, die verschiedene Lösungsansätze gegeneinander testen. Es muss in Erkenntnisgewinn investiert werden, nicht in Annahmen. Hin zu Evidenz statt Bauchgefühl.

3. Scale what works (Effiziente Exekution)

Produkte, Projekte oder Geschäftsmodelle werden erst hochgefahren, wenn strategische Klarheit und technische Ehrlichkeit zu einem gemeinsamen Verständnis geführt haben.

Dieser schrittweise Ansatz minimiert das Risiko von Sunk Costs. Reduziert Investitionsrisiken und sichert die Unternehmensgesundheit. Skalierung erfolgt als kalkulierte Entscheidung in bewiesenen Erfolgen, nicht aus einer Laune heraus.

Vom Besteller zum Gestalter

Das Scheitern von IT-Projekten wie Cariad oder eLWIS ist weniger ein Mangel an Führungskompetenz, als vielmehr die Anwendung des falschen Führungsinstruments. Man versucht, komplexe, adaptive Probleme mit den Methoden linearer Industrieprozesse zu lösen.

Um im digitalen Zeitalter erfolgreich zu sein, müssen Entscheidungsträger aufhören, Software wie Bauteile zu bestellen. Sie brauchen Partner, seien es interne Vertraute oder externe Spezialisten, die in der Lage sind, ihre geschäftlichen Visionen in funktionierende Realitäten zu übersetzen. Partner, die den Mut haben, einen Auftragswunsch zu hinterfragen, um das Unternehmen vor teuren Irrwegen zu bewahren.

Wir bei LOX Solutions glauben: Erfolgreiche Digitalisierung beginnt nicht mit dem Schreiben von Code oder dem Einstellen von Softwareentwicklern. Sie beginnt mit der schonungslosen Wahrheit über das Problem und den Mut, erst zu validieren, bevor man betoniert.

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